0815
bauchnabelschau
explosives
hirnwixereien
raunzereien
schnee von gestern
stolpersteine
tiefer als tief
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
diese frage stammt aus dem geschlechtsrollenmythenthread und verdient imo einen eigenen platz.

also: gibt es einen liebesmythos? ist es ein so, dass die liebe als grundlage für ein lebenskonzept nichts anderes ist als ein moderner mythos? "und sie lebten glücklich bis dass der tod und so ..."

ich sag ja, hab aber momentan leider keine zeit näher darauf einzugehen.

tiefseefisch meint vielleicht

poetica sagt definitiv nein.

und poll ist hier nicht möglich. blöde sache. und leute schreibts doch ned so viel, wie soll ich denn da noch zum arbeiten kommen? ;)

-------------------------------------------------------

die "liebe" im wandel

zunächst nochmal ein querverweis.

"pflicht ist lust und lust ist pflicht" ist die christliche, von der antike übernommene, vorstellung von sexualität in der ehe - oder wie christoph klotter schreibt: "Der Hauptzweck der Ehe bestand darin, dem Geschlechtstrieb in einer wechselseitigen Verpflichtung der Gatten, dem debitum, Genüge zu tun."
kant (metaphysik der sitten) beschrieb die ehe noch als einen offenen oder verdeckten kampf der geschlechter und versucht den "wechselseitigen gebrauch der geschlechtsorgane" in einen vertrag zu kleiden, bei dem weder von liebe, noch von freier selbstbeschränkung die rede ist.
frau wie mann hatten hier dieselben rechte.

erst mit der aufteilung des lebens in die sachbezogene berufswelt des mannes und das familienbezogene reich der frau wandelte sich die im vorindustriellen zeitalter gleichwertigen ökonomischen fähigkeiten der frau in "weibliche natur" und psychisch begründbare geschlechtseigenschaften um.

ihr bild wird umgewandelt und sie soll sich nun zugleich harmonisierend, selbstlos liebend und triebverzichtend ihrem mann zuwenden. als gattin, hausfrau und mutter mit einem zugeschriebenen geschlechtscharakter wird sie zur hüterin der bürgerlichen moral und ordnung.

die nach aries in allen kulturen vorfindbare aufteilung in ein ruhiges und beständiges eheleben und in leidenschaftliche aussereheliche amouren verliert sich allmählich.
zudem beginnt im 18. jahrhundert verstärkt sie verweigerung der frauen und an die stelle der ehelichen pflicht tritt die subjektive, von befindlichkeiten bestimmte entscheidung.

erst hier wird an die "beziehung", an die ehe die immense erwartung nach grenzenloser erotik, spontaneität und liebe geknüpft.
dass die erwartung allein die einlösung nicht begünstigt, sondern im gegenteil behindert. (@ poetica: soweit zum mythos der lust!)

Christoph Klotter schreibt:

"Die Verknüpfung von Leidenschaft und Ehe begünstigt die Subjektivierung des Beziehungslebens im Sinne einer immer wieder zu treffenden Entscheidung: 'Will ich oder will ich nicht'? Dieser Subjektivierung unterliegt im Sinne einer Zuschreibung eher die Frau. In der ihr zugeschanzten Krise der Entscheidung findet sich das Muster wieder, dass der Mann der Aktive zu sein habe, die Frau die Passive."

und weiter sinngemäß:
Die Emotionalisierung von Verhältnissen, sei es in Form des Verliebtseins, sei es in Gestalt der Libidinisierung der Ehe fungiert offenbar als Gleitcreme, die die Menschen noch reibungsloser zueinander finden lässt, wo sie sonst ein Abgrund trennt.

der abgrund, von dem klotter spricht ist der in der neuzeit einsetzende niedergang des christlichen codes als universallehre. mit diesem untergang geht der mensch einer festgefügten orientierung verlustig und eine unerschütterliche, gar auf liebe aufgebaute ehe bzw. beziehung scheint (neben dem schlechten gewissen als inneren kommunikationspartner) das geeignete mittel zu sein, um der inneren verlorenheit wirksam zu begegnen.

Klotter noch mal wörtlich:
"Dem Verliebtsein bzw. der Liebe wird so möglicherweise seit dem 18. Jahrhundert die Aufgabe zuteil, angesichts einer von Gott verlassenen Welt den Menschen an den Menschen zu binden."

und nicht minder wichtig ist wohl die verkoppelung von ökonomie und liebe, so kann die verschmelzung von liebe und ehe auch als versuch gewertet werden, der kapitalisierung aller verhältnisse einen scheinbaren riegel vorzuschieben, indem das verliebtsein die realen verhältnisse verdecken bzw. abschwächen soll.

im modell der liebesehe wird so zwar die ökonomische grundlage der ehe überdeckt, hinterrücks ergreift jedoch gerade durch die abschaffung des debitum als archaischem, in gewisser weise feudalem austauschverhältnis eine kapitalistische logik von der ehe besitz: die frau kann ihren körper dem mann nach gutdünken vorenthalten. sie kann damit sparen und haushalten, sie kann ihn aber auch zur verfügung stellen, wenn es ihr günstig erscheint.

der körper wird so zum kapital.
0815tussi meinte am 18. Feb, 11:01:
parzieller hirnstillstand
warum liebe blind macht
sehpferd meinte am 18. Feb, 21:13:
Vor dem Mythos
Je tiefer ich grabe, umso mehr durchstoße ich Schichten, in denen die „Grundlagen für Lebenskonzepte“ sich aus den biologischen, dann aus den sozialen Gegebenheiten herleiten lassen. Abraham Maslow hat dies erforscht, und er kam zu dem Schluss, dass zunächst die körperlichen Grundbedürfnisse erfüllt sein müssten, bevor wir Menschen an irgendetwas anderes gehen könnten. Essen, Trinken, Schlafen, Sex – und dann erst einmal ein Punkt.

Danach käme die Sicherheit: Erst mal gucken, wie weit man selber kommt, dann die Zukunftsaussichten betrachten – vorerst unterschwellig, dann offen: Partnerwahl ist Zukunftswahl – da darf man zwei Mal nachdenken. Was bringt es mit sich, einen Partner ins Haus zu holen? Worüber wird man reden, wer werden die Freunde in Zukunft sein? Will man den bisher eingeschlagenen Weg wechseln, wo wird man Kompromisse aufsuchen müssen?

Doch man ist nicht nur man selbst, man lebt auch in der Welt – bringt der Partner eher Anerkennung oder eher Zurückweisung? Kann ich sowohl mit dem einen wie auch mit dem anderen umgehen? Viele Fragen.

Liebe? Oh ja – ein wichtiges Bedürfnis, ein Meilenstein zur Selbstverwirklichung mithilfe anderer Menschen. Schwer zu handhaben, vielleicht aber so auszudrücken: Wenn ich zum ersten Mal ein Kunstwerk liebe, kann ich mich auch an einen Menschen wagen: Dann habe ich es geschafft, meine grundlegenden Bedürfnisse so im Zaum zu haben, dass ich lieben kann, ohne zu lüstern.

Was dies alles mit der Liebe zu tun hat? Wenig. Liebe ist entweder in einem Menschen oder sie ist es nicht. Ist sie es, so kann man seine Liebe vielfältig auf die Teilnehmer am Leben herabregnen lassen und hoffen, dass ein paar Tröpfchen zurückkommen. Wer keine Liebe zu verschenken hat, muss etwas anderes eintauschen, um Liebe zu gewinnen: im besten Falle Macht und Einfluss, im schlechtesten Geld. Wahre Liebe hingegen ist kein Mythos, sondern ein Geschenk: Der Schenkende gewinnt immer, der Beschenkte vielleicht.

Fragt sich natürlich, wie weit dies zum Thema passt: doch fiel mir auf, dass sich die Liebe zwischen den Partner zu Zeiten der Vernunftehe ja auch erst nach dem Sex entwickelte.

So, und nun hoffe ich auf eine heftige, fröhliche und sachliche Diskussion. 
0815tussi antwortete am 18. Feb, 22:24:
platon würde ihnen widersprechen ...
... und in gewissem maße auch wieder recht geben.

allerings ist es etwa schwierig mit dem kerl, weil ihn die heterosexualität relativ kalt lies, sein thema war die damals übliche knabenliebe. frauen gegenüber war der mann eindeutig in der herrschaftsposition, was bedeutete, dass er auf deren lust keine rücksicht nehmen musste.

knaben dagegen konnten sich nicht einfach als beherrschte in das thema der subjektkonstruktion des mannes integrieren.

thema der platon'schen ethik ist daher fast ausschließlich die beziehungen zwischen mänern und knaben und der zusammenhang zwischen sexueller beziehung und sozialer protektion.
so entwickelte er auch seine reflexion über die "wahre liebe" in zusammenhang mit der beziehung knabe-mann.

die ausgangsfrage ist eine ontologische nach dem wesen der liebe, ihrer natur und ihres ursprungs und setzt die liebe nicht schon als existent voraus, oder wie faucoult in "der gebrauch der lüste" schreibt:

"Man muss also vom Geliebten zurückkehren, was liebt (...), und dieses an ihm selbst befragen."

eros ist damit nicht mehr die das subjekt überkommende macht eines schönen objekts, sondern das begehren des subjekts selbst. diese wendung zurück aufs liebende subjekt begründete die grundsätzlichere frage: was ist in wahrheit das objekt der liebe?

ausgangspunkt hierfür ist eine rede phraidos und die darin formulierte vorstellung, dass die sele seit je an der wahrheit des wahren seins, der ideen teilhat, ihr diese teilhabe aber zunächst verborgen ist.
erst im anblick der irdischen schönheit erinnert sie sich an jenes wahre schöne und erkennt die irdische schönheit als bloßen widerschein der "wirklichkeiten, die über dem himmel sind". dadurch entzündet sich in der seele ein verlangen, diese wahrheit wiederzufinden.

schmidt ("geburt der philosophie") schreibt:
"Das wahre Objekt des Eros ist also das von allem Einzelschönen abgelöste, objektive, wahre Schöne, die Idee des Schönen, reines Sein, höchste Abstraktion. Das irdische Einzelschöne wird nur wegen des Abglanzes des wahren Schönen, das es an sich hat, geliebt."

und weiter foucault (ebenfalls auf plato bezogen in "der gebrauch der lüste"):
"Das Verhältnis der Seele zur Wahrheit ist das, was dem Eros in seiner Bewegung, in seiner Kraft und in seiner Intensität zugrunde liegt und ihm zugleich hilft, sich von jedem physischen Genuß zu lösen und zur wahrhaften LIebe zu werden."

die bewegung der seele zur wahrheit, ihre umkehr, ihr sich-herausreißen aus der welt bezeichnet platon mit dem begriff der "epistrophe".
foucault sieht diese durch vier elemente charakterisiert:
  • sich abwenden von den erscheinungen, von der welt
  • sich zu sich selbst zurückwenden
  • erinnerungsakte an die früher einmal wahrgenommene wahrheit vornehmen
  • zu seinem ontologischen vaterland zurückkehren, zu dem wesen der wahrheit und des seins.

    worauf ich hinaus will?
    in den grundlagen unserer westlichen philosophie ist nicht nur die liebe im grunde ein widerspruch zur körperlichen lust, nein, frauen kommen hier nicht mal vor.

    öhm ... und da ist jetzt ein langer weg hin zu heterosexueller liebe, die ein körperliches begehren als solches einschließt und womöglich noch in einer lebenslangen einanderzugewandtheit in form einer ehelichen beziehung als lebenskonzept gipfelt.

    den weg zu suchen und hier die knackpunkte zu finden, das ist es, was mich eigentlich wirklich interessiert.
  •  
    sehpferd antwortete am 19. Feb, 15:13:
    Vorschlag zur Metakommunikation
    Ich bekomme den Eindruck, wir befinden uns in der klassischen Alice-Situation: Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen. Denn ob wird dem Hutmacher-Weg oder dem Märzhasen-Pfad folgen, nur mit der Theorie werden wir uns verlaufen.

    Was wir tun sollten? Die Liebenden herbeirufen, um sie zu befragen. Müssten sie nicht besser wissen, ob die Liebe nur ein Mythos ist oder vielleicht doch des Lebens güldener Baum? 
    0815tussi antwortete am 19. Feb, 15:33:
    these
    "die liebe" wie wir sie erleben, konnotieren, was wir an hoffnungen in sie legen, das ist geschichtlich einem wandel unterworfen, an dem auch wir nicht spurlos vorüber gehen.

    ob der geliebte die sprichwörtlich andere hälfte ist, nach der wir ein (oder mehrere) leben lang suchen, oder rein ein zugang zur "wahrheit" oder ein zufälliger auslöser für diverseste biochemische vorgänge, das wird die herangehensweise UND das erleben wandeln.

    so, wie ich heute nicht mehr liebe wie vor 20 jahren, so liebe ich mit größter wahrscheinlichkeit auch nicht so wie meine urgroßmutter - zumindest nicht den geschlechts- oder lebens- oder lebensabschnittspartner.

    wie liebe, sex, lust, geschlechtsrolle, selbstbild sich im laufe der zeit in unserem kulturkreis gewandelt haben und welche tendenzen für weitere metamorphosen eventuell erkennbar sind, DAS ist es, was mich interessiert.

    selbstverständlich wären hier auch qualitative interviews interessant, aber alles auf einmal geht nicht.

    dies hier soll auch keine wissenschaftliche arbeit sein. ich nehme mir die freiheit in diversesten schubladen zu stöbern und das, was ich daraus hervorziehe, hier zu verewigen. meist wirr und in kaum einer chronologischen reihenfolge.

    und wenn zu meinen bausteinen noch andere kommen, die wiederum ein "hakenschlagen" hervorrufen, dann um so besser.

    it's just for fun. mir macht das spaß, mehr regeln dafür brauche ich nicht - nicht für mich und dieses blog. 
    sehpferd antwortete am 19. Feb, 17:21:
    Einen Haken schlagen - Liebe im 19. Jahrhundert
    Die erste Frau des Urgroßvaters starb schon nach kurzer Ehe, die zweite ereilte das Schicksal vieler Frauen der damaligen Zeit: sie starb im Kindbett. Nun also musste sich der Urgroßvater eine neue Frau suchen, die er auch nach angemessener Trauerzeit und einer kurzen Suche fand.

    Er sah sie zwei Mal: das erste Mal hielt er vergeblich um ihre Hand an, beim zweiten Mal gab sie nach und man verlobte sich. Eine Frau für die Liebe? Der Urgroßvater hätte diese Frage gar nicht verstanden. Er suchte eine gute Hausfrau, eine liebevolle Stiefmutter für seine bisherigen Kinder und eine gute Mutter für weitere Nachkommen.

    Er war Redakteur einer landwirtschaftlichen Zeitung, und er schrieb – was sehr ungewöhnlich war für die damalige Zeit – auch über sein Leben. Ich selber kenne seine Ansichten nur aus seinen Schriften. 
    0815tussi antwortete am 19. Feb, 20:29:
    danke für diesen bericht!
    genau soetwas meine ich. ich könnte an dieser stelle etwas über meine großmütter erzählen (wenn ich nicht schon so müde wäre) - über meine urgroßmütter weiß ich leider zu wenig ... 






     
    resident of twoday.net
    powered by Antville powered by Helma
    AGBs xml version of this page